You and me, fat man

November 2024 · 5 minute read

Paul Gas­coigne kehrt auf den Platz zurück!“ Eng­lands Medien waren merk­lich aus dem Häus­chen. Doch was zunächst wie eine freu­dige Nach­richt klang, ent­puppte sich bereits kurze Zeit später als Stroh­feuer. Tags darauf ver­öf­fent­lichte die Presse scho­ckie­rende Bilder des ehe­ma­ligen Super­stars. Mit einer Gin-Fla­sche in der Hand führte die Polizei den 57-fachen Natio­nal­spieler aus seinem Haus und brachte ihn ins Kran­ken­haus. Beim Anblick der Bilder mag man kaum glauben, dass Gazza“ erst 47 Jahre alt ist. Er ist abge­ma­gert. Zu T‑Shirt und Shorts trägt er blaue Samt­schuhe. Er wirkt apa­thisch. Ein wei­terer Tief­punkt im Leben eines genialen Fuß­bal­lers, der an seiner Alko­hol­sucht zu zer­bre­chen scheint.

Die tickende Zeit­bombe

Ein Rück­blick. Anfang der neun­ziger Jahre ver­zückte Paul Gas­coigne eine ganze Fuß­ball­na­tion mit seiner tech­nisch bril­lanten Art. Der junge Gazza“ debü­tierte mit 21 Jahren in der eng­li­schen Natio­nal­mann­schaft und wurde zum gefei­erten Star, weil er nicht nur Genia­lität auf dem Platz zeigte, son­dern auch außer­halb stets gute Laune ver­brei­tete. Bei der Welt­meis­ter­schaft 1990 in Ita­lien wurde er zum Stamm­spieler und trieb gleich­zeitig seinen Trainer Bobby Robson und seinen Zim­mer­kol­legen Chris Waddle in den Wahn­sinn. Für Robson war Gazza“ eine tickende Zeit­bombe. Und der vom Trainer als hyper­aktiv“ beschrie­bene Mit­tel­feld­mann sorgte ständig für Ärger, indem er etwa seinen Zim­mer­kol­legen mit den abge­fah­renen Strei­chen den Schlaf raubte. Aber wie sollte man diesem kleinen Jungen im Körper eines Mannes böse sein, wenn er dann sein Laus­buben-Grinsen auf­setzte? Einmal streckte er wäh­rend der Natio­nal­hymne die Zunge raus, wäh­rend ihn die Kamera filmte. Als Trainer Robson ihn ein­dring­lich auf­for­derte, dies nicht mehr zu wie­der­holen, soll Gazza“ zu Chris Waddle gesagt haben: You do it then!“ Waddle, ganz Profi, igno­rierte diesen Vor­schlag. Also musste Gas­coigne wieder selbst ran. Sir“ Bobby Robson wäre bei­nahe in Ohn­macht gefallen. Für die großen Momente sorgte der Rechtsfuß aber den­noch auf dem Platz. Unver­gessen ist, wie ihm nach dem tra­gi­schen Aus­scheiden im Halb­fi­nale gegen Deutsch­land bei der WM 1990 die Tränen kamen. Ganz Fuß­bal­lengland schloss ihn ins Herz und kürte ihn schließ­lich zur BBC Sports Per­so­na­lity of the year“.

Es sind solche Anek­doten, die Gazza“ unsterb­lich machten: Wie die legen­däre Szene, in der Bru­talo Vinnie Jones dem damals 20-Jäh­rigen Jung­star mit Schma­ckes ins Gemächt griff. Bereits vor Spiel­be­ginn hatte Die Axt“ den jungen Gazza“ mit den Worten Me and you, fat man“ begrüßt. Später befahl er dem sicht­lich ein­ge­schüch­terten Gas­coigne: Du bleibst hier stehen, wäh­rend ich den Ein­wurf aus­führe!“ Was der dann auch tat. Tage nach dem Spiel schickte Gas­coigne Jones eine Rose. Der bedankte sich mit einer Klo­bürste.

Vier Fla­schen Wein, elf Schlaf­ta­bletten, neun Brandys – Spieler des Spiels

Gazza wollte nur spielen, so schien es. Und er kannte keine Grenzen. Auf dem Platz spulte er oft die meisten Kilo­meter ab, an guten Tagen ent­schied er Spiele mit einem ein­zigen Hüft­wackler, einem genialen Dribb­ling, einem Pass. Doch wenn nach Schluss­pfiff geli­tert wurde, war es eben­falls Gazza“, der sich in den Vor­der­grund soff. Bald griff er auch schon vor dem Spiel zur Fla­sche. In seinem Buch Glo­rious“ beschreibt er, wie er vor einer Partie mal vier Fla­schen Wein, elf Schlaf­ta­bletten und neun Brandys zu sich nahm. Tags darauf wachte er neben dem Man of the match“-Award auf. Das Leben eines Stark­al­ko­ho­li­kers.

Dass er immer noch am Leben ist, grenzt schon fast an ein Wunder.

Mit zuneh­mendem Alter häuften sich die Ver­let­zungen, die nächt­li­chen Aus­flüge und Eska­paden über­schat­teten das Talent auf dem Platz. Stets dabei: die Bou­le­vard­presse. Dass die Medien in seinem Leben eine wich­tige Rolle spielen würde, ahnte schon der große George Best, als er zu Beginn von Gazzas“ Kar­riere dunkel pro­gnos­ti­zierte: Ich hoffe, er hat Freude am Fuß­ball spielen und wird nicht von der Presse zer­stört“.

Kein Geld für die Klinik

Paul Gas­coigne steht wie kaum ein anderer für den rasanten Absturz einer Fuß­ball­le­gende. Den­noch ist die Bewun­de­rung für den Fuß­baller Gazza“ in Eng­land immer noch deut­lich zu spüren. Nur so lässt es sich erklären, dass in den Jahren nach seiner Kar­riere derart viele Ex-Kol­legen dem Genie zur Seite standen, wenn er wieder einmal zur Fla­sche griff. Als er vor ein paar Jahren mal wieder einen Zusam­men­bruch erlitt, berappten u.a. Wayne Rooney, Frank Lam­pard und Jack Wilshire das nötige Klein­geld für den Auf­ent­halt in einer Ent­zugs­klinik in den USA. Steven Ger­rard for­derte den eng­li­schen Fuß­ball-Ver­band auf, den auch finan­ziell aus­ge­brannten Gas­coigne zu unter­stützen. Die FA kam dem Wunsch den Liver­pool-Kapi­täns nach.

Nun erlebt die Öffent­lich­keit ein wei­teres trau­riges Kapitel im Leben von Schott­lands Fuß­baller des Jahres 1996“. Gazzas“ Bruder im Geiste, George Best, der im Jahr 2005 den Folgen seiner Alko­hol­sucht erlag, sagte einst in einem Inter­view mit Ver­weis auf sein eigenes legen­däres Zitat: Ich hoffe, dass er nicht trinkt, keine schnellen Autos fährt, nicht mit Frauen schläft und nicht nach 23 Uhr das Haus ver­lässt“. Paul Gas­coigne hat nichts davon beher­zigt, aber die Liebe zum Fuß­ball steckt immer noch in ihm. Nur so lässt es sich erklären, dass er mit 47 Jahren noch einmal für ein Sunday League Team auf­laufen wollte. Er soll sich von einem Taxi­fahrer, der gleich­zeitig als Manager des Ama­teur­klubs Abbey Win­dows FC fun­giert, über­reden, einen Ver­trag für acht Pfund pro Woche zu unter­schreiben. Paul Gas­coigne kehrt auf den Platz zurück!“

Aus dem Laus­buben ist eine Maske geworden

Wenige Tage nach der Ver­trags­un­ter­schrift stand die Polizei vor Gas­coignes Tür, weil sich die Nach­barn über den Lärm in seiner Woh­nung beschwert hatten. Da stand er dann: In blauen Samt­schuhen, das eins­tige Laus­bu­ben­ge­sicht zu einer auf­ge­quol­lenen Maske ver­zerrt. Die trau­rige Gestalt eines Mannes, den die Sucht mit Haut und Haaren zu ver­schlingen scheint.

Paul Gas­coigne zurück auf dem Platz? Wohl kaum. Paul Gas­coigne zurück im Leben! Tro­cken! Das wäre mal eine Mel­dung.

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